Viele Linux-Neulinge nennen immer wieder dieselben Gründe, warum sie dem freien Betriebssystem bislang keine Chance geben: Sie benötigen Programme aus der Adobe Creative Suite oder möchten nicht auf Microsoft Office verzichten.
Spiele, die früher häufig ein Hindernis darstellten, laufen dank Steam und Proton heute meist problemlos unter Linux – oft sogar mit besseren Frameraten als unter Windows auf demselben System. Doch proprietäre Anwendungen mit digitalem Rechtemanagement, wie etwa Adobe Photoshop oder Microsoft Word und Outlook, bleiben oft ein hartnäckiges Hindernis.
Mit WinBoat steht jedoch jetzt eine neue Open-Source-Lösung bereit, die Windows in einer leichtgewichtigen, performanten Umgebung direkt unter Linux verfügbar macht. So lassen sich viele Windows-Anwendungen bequem und sicher in TUXEDO OS nutzen – ohne Neustart in ein anderes OS und ohne aufwendige Konfiguration des bestehenden Systems.
Windows 11 Pro in einer von WinBoat erstellten VM im Docker-Container, wobei alle wichtigen Schritte zur Installation automatisch vom Programm übernommen werden.
Was ist WinBoat?
WinBoat ist ein quelloffenes Projekt, das die Installation und Nutzung von Windows unter Linux auf elegante Weise automatisiert. Die Anwendung kombiniert die Container-Technologie von Docker mit dem Remote-Desktop-Protokoll FreeRDP , um Windows in einer isolierten Umgebung auszuführen und dessen Anwendungen nahtlos auf dem Linux-Desktop darzustellen.
Das Windows im WinBoat-Container virtualisiert nur Anwendungen und deren Abhängigkeiten. Der Container startet wesentlich schneller und benötiget weniger Ressourcen als eine klassische VM.
Dabei übernimmt WinBoat den gesamten Installationsprozess – von der automatischen Beschaffung der offiziellen Windows-ISO über das Entfernen unnötiger Komponenten bis hin zur Einrichtung eines lokalen Benutzerkontos. Über eine benutzerfreundliche grafische Oberfläche lassen sich anschließend die virtuelle Windows-Umgebung starten und Programme mit einem Klick öffnen.
Damit bietet WinBoat eine der derzeit komfortabelsten und zugleich technisch saubersten Möglichkeiten, ein vollwertiges Windows-System direkt unter Linux zu betreiben.
Virtuelle Maschine vs. Container: Eine klassische virtuelle Maschine wie VirtualBox emuliert komplette Hardware inklusive BIOS, sodass ein vollständiges Gastbetriebssystem läuft. Ein Container wie Docker virtualisiert nur die Anwendung und ihre Abhängigkeiten, teilt sich also das Host-Betriebssystem. Container sind leichter, starten schneller und benötigen weniger Ressourcen, bieten aber weniger Isolation.
Voraussetzungen
Damit WinBoat unter TUXEDO OS (oder einer anderen Linux-Distribution) funktioniert, müssen einige grundlegende Komponenten vorhanden sein:
Docker und Docker Compose v2
FreeRDP 3
Aktivierte Virtualisierungsfunktionen im BIOS/UEFI:
Bei AMD: SVM oder AMD-V
Bei Intel: VT-X oder VMX
Die Installation der nötigen Abhängigkeiten erfolgt unter TUXEDO OS über die Kommandozeile:
sudo apt install docker.io docker-compose-v2 freerdp3-x11
Anschließend fügen Sie Ihren Benutzer der Docker-Gruppe hinzu:
sudo usermod -aG docker $USER
Damit das System die Gruppenzugehörigkeit übernimmt, loggen Sie sich danach einmal aus und wieder ein.
Installation von WinBoat
Die Entwickler stellen WinBoat in verschiedenen Varianten zur Verfügung. Unter TUXEDO OS empfehlen wir das für Debian (und andere auf Debian basierende Distributionen) gebaute DEB-Paket. Laden Sie es herunter und öffnen Sie es per Doppelklick in der Discover-Softwareverwaltung. Mit einem Klick rechts oben auf Installieren wird die Software auf Ihrem System installiert. Anschließend können Sie WinBoat aus der Anwendungsliste heraus aufrufen.
Installationsassistent
Daraufhin öffnet sich der grafische Installer. Nach einer Einführung und der Anzeige des Lizenzabkommens informiert der Installationsassistent über das Vorhandensein aller nötigen Abhängigkeiten und Konfigurationen. Haben Sie die obigen Schritte alle ausgeführt, sollte überall ein grüner Haken zu sehen sein. Danach wählen Sie den Installationsordner, etwa einen Unterordner in Ihrem Home-Verzeichnis.
Der Installationsassistent prüft, ob alle Abhängigkeiten installiert sind, und zeigt grüne Haken bei erfolgreicher Prüfung jedes Elements an. Falls nicht blendet WinBoat Hilfen zur Installation ein.
Windows-Version
Danach wählen Sie die Windows-Version (etwa Windows 11 Pro) und die Sprache (Deutsch lässt sich aufgrund eines Bugs derzeit nicht direkt auswählen). Letztendlich legen Sie noch den Benutzernamen und das Passwort fest. Die Einstellungen zur Hardwarekonfiguration (CPU-Kerne und RAM-Zuteilung) können Sie in der Regel direkt übernehmen.
WinBoat lädt automatisch ein Windows-Image aus dem Internet und passt die Einstellungen der virtuellen Maschine für den Einsatz im Container automatisiert an.
Hier legen Sie die Anzahl der CPU-Kerne und die RAM-Zuteilung für die Windows-VM fest. Achten Sie darauf dem Host-System noch ausreichen Ressourcen zu lassen.
Hinweis: Beachten Sie, dass WinBoat einiges an Plattenplatz benötigt. Die Größe des Abbilds lässt sich später nicht mehr so einfach ändern. Im Beispiel hier belegt WinBoat in der Konfiguration 48 GByte im Home-Verzeichnis, so wie in der Einstellung hinterlegt.
Folder-Sharing
Über das Home Folder Sharing erlauben Sie der Windows-Maschine den Zugriff auf das vollständige Home-Verzeichnis. Achtung: Mit allen Vor- und Nachteilen. Schadsoftware könnte beispielsweise auch Ihre unter Linux gespeicherten Daten kompromittieren. Derzeit ist es nicht möglich, nur ein Unterverzeichnis für den Datenaustausch freizugeben.
Windows-Programme erhalten über die Netzwerkfreigabe Zugriff auf das Home-Verzeichnis des Linux-Hosts, sodass Dateien zwischen beiden Systemen geteilt werden können.
Der Installationsassistent von WinBoat zeigt Ihnen anschließend eine Zusammenfassung an, lädt automatisch die Windows-Dateien von Microsoft-Servern, entfernt überflüssige Komponenten und richtet die virtuelle Maschine ein. Je nach Internetgeschwindigkeit und Systemleistung kann dieser Vorgang bis zu einer Stunde dauern.
WinBoat lädt das Windows-ISO automatisch herunter, optimiert es für den Container und richtet die virtuelle Maschine direkt einsatzbereit ein. Für den User läuft alles komplett im Hintergrund ab.
Windows starten und Anwendungen nutzen
Nach der Installation können Sie Windows direkt in der WinBoat-Oberfläche unter Apps starten. Dort finden Sie zwei Hauptfunktionen:
Windows Desktop: Startet das komplette Windows in einem Fenster unter Linux.
Apps: Öffnet einzelne Windows-Programme direkt auf dem Linux-Desktop, ohne den gesamten Windows-Desktop zu laden.
Mit Windows Desktop öffnen Sie den kompletten Windows-Desktop, während Programme direkt als normale Fenster auf dem Linux-Desktop gestartet werden können.
Beispiel: Ein Klick auf Command Prompt öffnet die Windows-Eingabeaufforderung als normales Fenster auf dem Linux-Desktop. Ebenso lassen sich Anwendungen wie Word oder Excel direkt nutzen. Anwendungen, die Sie in der Windows-VM installieren, erscheinen automatisch unter Apps , sodass Sie sie wie normale Programme im Fenster auf dem Linux-Desktop öffnen können.
Der Windows-Desktop gleicht einer „normalen“ Windows-Installation. Über die Schaltleiste im Kopf des Fensters können Sie das Windows minimieren und zum Linux-Desktop wechseln.
Als Beispiel: Der Editor Notepad++ lässt sich dank WinBoat direkt unter Linux nutzen und erscheint wie ein normales Programm im Fenster auf dem Desktop.
Haben Sie die Option Shared Home Folder während der Installation der VM oder später in der Configuration aktiviert, ist das Linux-Home-Verzeichnis unter Network » host.lan » Data in der Windows-VM eingebunden. Damit greifen Sie von beiden Seiten auf dieselben Dateien zu – ideal für gemischte Arbeitsumgebungen.
Achtung: Die Freigabe des Linux-Home-Verzeichnisses lässt sich nicht auf einzelne Ordner einschränken. Es gilt: Entweder ganz oder gar nicht. Über Schadsoftware innerhalb der Windows-VM könnten auch Ihre unter Linux eigentlich gut geschützten Daten gefährdet werden. Nutzen Sie den Datenaustausch daher besser nur gezielt oder über eine speziell eingerichtete Netzwerkfreigabe. Installieren Sie nur Programme, deren Herkunft Sie kennen und denen Sie vertrauen.
Sprache im virtuellen Windows konfigurieren
Da sich das virtuelle Windows aktuell nicht in Deutsch installieren lässt, müssen Sie das System in der Standardkonfiguration nicht nur auf Englisch nutzen, sondern auch die Tastatur verwendet eine englische Belegung. Beim Tippen eines Y erscheint beispielsweise ein Z in Windows-Anwendungen. Das System lässt sich aber per Sprachpaket nachträglich eindeutschen.
Öffnen Sie dazu Settings » Time & language » Language & region » Preferred language und tippen Sie auf die Schaltfläche Add a language . Dort wählen Sie etwa Deutsch (Deutschland) aus und folgen dem Assistenten zur Installation der zusätzlichen Sprache. Anschließend wählen Sie unter Windows display language den Eintrag Deutsch (Deutschland) aus und aktivieren die Einstellung, indem Sie sich über Sign out einmal aus- und wieder einloggen.
Über Sprachpakete können Sie das nach der Installation nur auf Englisch verfügbare Windows-System komplett auf Deutsch (oder jede andere Sprache) umstellen.
Konfiguration für HiDPI-Displays
In den Einstellungen unter Configuration ist besonders der Punkt Display Scaling wichtig, insbesondere bei hochauflösenden Displays. So lassen sich Schriften und Schaltflächen auf dem Linux-Desktop optimal skalieren. Hier können Sie auch CPU-Kerne und RAM-Zuweisung nachträglich anpassen.
Unter Configuration können Sie CPU-Kerne und Arbeitsspeicher der WinBoat-VM nachträglich anpassen, um ausreichend Ressourcen für das Host-System zu sichern.
Das Display Scaling ermöglicht auf hochauflösenden Bildschirmen eine bessere Darstellung von Schriften und Fenstern in Windows-Anwedungen.
Performance und Praxis
Getestet haben wir WinBoat auf einem TUXEDO InfinityBook Pro 14 - Gen7 mit Intel Core i7–12700H und 32 GByte Arbeitsspeicher. Im Single-Core-Einsatz halten sich die Verluste in Grenzen. Die Ergebnisse im Geekbench-Multi-Core-Test zeigen hingegen deutliche Leistungsverluste bei Multi-Core-Anwendungen – nicht verwunderlich, wenn man in der Konfiguration der VM nicht alle im Host-System verbauten CPU-Kerne zuweist.
Firefox-Benchmark (Speedometer 3.1): Der Firefox in der WinBoat-Windows-VM läuft etwa 33 Prozent langsamer (nativ: 19,2; WinBoat: 12,8).
Geekbench 6.5.0: Rund 7 Prozent langsamer im Single-Core-Test (nativ: 2001; WinBoat: 1863), knapp über 40 Prozent langsamer im Multi-Core-Test (nativ: 7890; WinBoat: 4681).
Im Alltag reagiert das virtuelle Windows jedoch flüssig. Office-Programme wie Word oder Excel laufen ohne spürbare Verzögerung, während anspruchsvollere Software wie Photoshop oder Premiere am besten im vollständigen Desktop-Modus betrieben wird. GPU-Passthrough wird aktuell nicht unterstützt, ist aber für viele Anwendungsfälle nicht notwendig.
RDP statt VNC: Schnellere Darstellung
Während Docker standardmäßig auf VNC setzt, nutzt WinBoat das Remote Desktop Protocol (RDP) von Microsoft. Das sorgt für eine deutlich bessere Performance und Bildqualität – ohne sichtbare Kompressionsartefakte. Voraussetzung dafür ist lediglich FreeRDP 3, das unter TUXEDO OS direkt in den Paketquellen enthalten ist.
Hinweis: Wer möchte, kann zusätzlich über den Browser auf die VM zugreifen. Dazu muss lediglich die Adresse http://127.0.0.1:8006 im Browser geöffnet werden.
Lizenz und Aktivierung
Das in WinBoat installierte Windows ist zunächst nicht aktiviert. Sie können jedoch mit einem gültigen Lizenzschlüssel eine reguläre Aktivierung durchführen. WinBoat selbst und alle verwendeten Komponenten sind vollständig Open Source und enthalten keine urheberrechtlich geschützten Dateien.
Windows unter Linux: Einfacher geht’s aktuell nicht
Mit WinBoat steht Linux-Nutzern eine stabile, einfach zu bedienende und performante Lösung zur Verfügung, um Windows-Anwendungen direkt unter Linux zu betreiben. Egal, ob Sie Microsoft Office, Photoshop oder spezielle Windows-Tools benötigen – WinBoat integriert sie nahtlos in den Linux-Alltag.
Die Installation ist unkompliziert, die Performance überzeugend, und die grafische Oberfläche macht das System auch für Einsteiger leicht zugänglich. Für viele Nutzer dürfte WinBoat damit die letzte große Hürde auf dem Weg zu einem vollständig Linux-basierten Alltag beseitigen.